Unterlandpassagen

by Ragna Körby



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Die Unterlandpassagen sind eine Hypothese - ein Entwurf für ein Einkaufszentrum unter dem neuen Gbäudes des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin Mitte. Was würde das bedeuten, eine öffentliche Funktion unter dem instutionalisierten Geheimsten, dem Hauptquartier des Geheimdienstes?

Und was passiert, wenn die Bürger dagegen rebellieren, anstatt gegen den Geheimdienst, gegen den Kommerz unter dem Geheimdienst?

Schnitt durch die Unterlandpassagen
(öffnet pop-up)

Besuch der Unterlandpassagen (öffnet pop-up)

Am Anfang dieser Arbeit stand die intensive Beschäftigung mit einer Brachfläche an der Chausseestraße in Berlin Mitte im Jahre 2006. Vor Jahren hatte hier das Stadion der Weltjugend gestanden. Mittlerweile war der Ort völlig verwildert und daraufhin von den Anwohnern auf vielfältige Art und Weise angeeignet worden.

Ausgerechnet der deutsche Geheimdienst hatte nun aber beschlossen, auf diesem Gelände sein neues Hauptquartier zu errichten. Ein monumentales Gebäude für 4000 Mitarbeiter soll hier ab 2013 bezugsfertig sein. An die Stelle eines sehr freien städtischen Raumes wird das überwachte und eingezäunte Gelände einer Institution entstehen, die einen außerordentlich hohen Sicherheitsbedarf für sich beansprucht. Dieses Gelände wird bald versiegelt und für keinen Anwohner mehr zu nutzen sein.

Für mich entsprangen aus dieser Sachlage zwei wesentliche Fragen: Was passiert mit diesem Ort, wenn der BND dieses Stück Stadt ganz für sich in Anspruch nimmt und der Stadt wegnimmt? Wie wird die Öffentlichkeit in Zukunft den Bundesnachrichtendienst wahrnehmen?

Mind Urbanism

Ich suchte nach einer Strategie, um den zukünftig vom BND besetzten Raum für die Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und BND wollte ich dahingehend verändern, daß beide mehr miteinander verzahnt sein würden. Auf der Suche nach einem geeigneten Programm, das diese beiden Ziele miteinander verbindet, habe ich eine Shopping Mall für ideal befunden.

Eine Shopping Mall ersetzt auf keinen Fall die große Spielwiese, die die Brache einst war. Sie ist aber dennoch eine realistische Ergänzung für dieses Gebäude. Malls sind das gängige Modell der Gegenwart, um kontrollierte Urbanität zu erzeugen. Durch sie könnte ein Mindestmaß an Öffentlichkeit unter dem BND gewährleistet werden, die jedoch - wie es für Malls üblich ist und der BND es verlangen würde - mit einem hohen Maß an Überwachungs- und Sicherheitstechnik kontrolliert werden würde. Diese würde einerseits von der Öffentlichkeit nicht hinterfragt werden, da sie dies von anderen Shopping-Malls bereits gewohnt ist, andererseits würde diese in diesem speziellen Fall vielleicht auch besonders wahrgenommen werden. Ich ging davon aus, daß das BND-Headquarter durch die unterirdische Nutzung stärker von der Öffentlichkeit erlebt und wahrgenommen werden müßte und der BND eben darauf reagieren würde. Die Momente, in dem die beiden zusammenkommen und wie diese Übergänge im Detail gestaltet werden würden, haben mich besonders interessiert,

Woran würde man merken, daß diese Mall unter einer außerordentlichen Institution mit hohen Geheimhaltungsbestrebungen sein würde? Welches Verhältnis würde die Stadt zu diesem Hybrid aufbauen? Wie würde die Wahrnehmung des Ortes die Einstellung gegenüber der Institution verändern?

Taktik

Slide Show

Mein gedankliches Modell in den physischen Raum zu übersetzen hätte nicht die Wirkung gehabt, die mein bisheriges, viele Fragen aufwerfendes Modell schon hatte: die Phantasie und Vorstellungskraft meines Publikums anzuregen. Im zweiten Schritt meiner Arbeit habe ich mich darum dagegen entschieden, die architektonischen Übergänge auszuformulieren. Ich wollte vielmehr ein Publikum außerhalb der Universität erreichen und damit eine größere Öffentlichkeit für den BND-Neubau und seine zukünftige Rolle und die damit verbundene Auswirkung auf die Stadt gewinnen. Wie kann ich einen öffentlichen Diskurs anregen? Wie kann ich die Leute dazu bewegen, sich zu diesem Fall zu positionieren und darauf zu reagieren?

Um dieses Ziel zu erreichen, nahm ich mir u.a. die Mittel und Methoden der Kommunikationsguerilla und Öffentlichkeitsarbeit zur Hilfe. “Kommunikationsguerilla” ist eine Form des Aktivismus, bei der gezielt Information bzw. Desinformation eingesetzt wird, um bestimmte subversive Ziele zu erreichen. Ihre Akteure bedienen sich dazu kollektiver Mythen, erfinden multiple Namen oder imaginäre Personen. Ich wollte damit an erster Stelle öffentliche Aufmerksamkeit generieren.

Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, meinen Entwurf der Bundesnachrichten-Mall (der “UnterlandPassagen”) in der Presse diskutieren zu lassen. Da diese jedoch eine Fiktion war und keine Medienanstalt dies veröffentlichen würde, plante ich, daß die UnterlandPassagen in Form eines Dementi erscheinen und diskutiert werden sollten.

Kampagne: Ich entwarf hierfür eine fiktive Gruppierung (die “Wehrbürgerinitiative”), um durch sie gezielt Desinformationen zu verteilen. Durch sie begann ich ein Gerücht von den UnterlandPassagen in die Welt zu setzen, und zwar indem sie gegen die zukünftige Mall demonstrierten. Die “Wehrbürgerinitiative” sammelte Anhänger und kämpfte für ihr Anliegen über einen Internetauftritt bei dem Sozialen Netzwerk “MySpace”. Im Stadtraum plakatierten sie Poster mit Aufrufen, daß gegen die “UnterlandPassagen” zu demonstrieren sei. Diese wurden gezielt in der Umgebung der BND-Baustelle und auf den Straßen vor den großen Zeitungsredaktionen plaziert.

Interviews: Auf diese Kampagne folgte eine Reihe von Interventionen, die ich unter meinem richtigen Namen durchführte. In der Rolle der “neugierigen Studentin” habe ich ein Vielzahl von Interviews geführt. Ich rief z.B. Zeitungsredaktionen an und machte damit auf die “UnterlandPassagen” und die Wehrbürgerinitiative aufmerksam (die “Zitty” berichtete darüber). Diese Interviews dienten aber nicht nur dazu, das Gerücht zu streuen; ich habe gezielt für mich interessante Personen und Akteure angesprochen und durch ihre Reaktionen und Aussagen viel über ihre Sichtweisen, Vorstellungen und Haltungen zu BND, Geheimdiensten, Shopping-Malls und zur Stadt der Gegenwart erfahren. Ich sprach u.a. mit Architekten, Journalisten, Historikern, Anwohnern, Geschäftsführern und Vertretern der Senatsverwaltung.

Das Projekt untersuchte mit diesen taktischen Mittel die Reaktionen der vom BND-Neubau betroffenen Menschen, ihre Sichtweisen, Reaktionen und Vorstellungen. In den Antworten kamen ihre Vorstellungen von Stadt sehr deutlich zum Ausdruck. Gleichzeitig begannen sich durch die Beschäftigung mit den fiktiven “UnterlandPassagen” ihre Vorstellungen zu verändern. So entstand ein experimenteller Raum zwischen mir und den mit dem Projekt konfrontierten Personen, die allesamt zu Akteuren darin wurden. In diesem Raum wurde von allen Beteiligten an urbanen Visionen, Vorurteilen und Wünschen gebaut.

Mind Urbanism
Mein Projekt hatte im Laufe der Zeit die verschiedensten Arbeitstitel; “Mind Urbanism” ist der finale Titel. Mind Urbanism ist die Stadt, die in den Köpfen und Vorstellungen ihrer Bewohner entsteht. Mind Urbanism! ist die Aufforderung an jeden, den städteplanerischen Entscheidungen und Veränderungen in seiner Stadt Aufmerksamkeit zu schenken. Diese beiden Aspekte sind die zentralen Themen meiner Arbeit!

Danksagung
Ich bedanke mich herzlich bei Heinrich Dubel und dem Erratik Institut, sowie bei Robert Burghardt, Nilgün Serbest, Tobias Kurtz, Michael Hirsch und Uta Körby,
Ich bedanke mich ebenso herzlich bei Dorothea Etzler und Paul Milata, Jan Kleihues von Kleihues+Kleihues, Herrn Lehmann von Lehmann-Architekten, Herrn Kuhlow von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ingmar Behrens vom German Council of Shopping Centers, Jochen Bittner von der Zeit, Dietrich von Schell vom Berliner Abendblatt, der Dame vom Neuen Deutschland, Thomas Gsella von der Titanic, der Zitty-Redaktion und allen anonymen Passanten dafür, daß sie sich meinen Fragen gestellt haben.

English Summary: Ragna Körby proposes an underground shopping mall beneath the new headquarters of the German secret-service in Berlin-Mitte. The service has recently been exposed to a small scandal because top secret construction plans have been lost. Large parts of the building now have to be re-planned. Although Körbys work is already more than four years old, the scandal affirms it's actuality.

Links:
Wehrbürgerinitiative
BND
BND Neubau
BND Neubau Baufortschritt
Erratik Institut Berlin