Die Flamme der nie gewollten Revolution

(A Very Short History of the GDR)
von Elske Rosenfeld

Das Fahnenmonument in Halle steht vor dem Neubau der Sachsenbank. Einklemmt zwischen Firmenfassade und Tiefgarage presst es den breiten Schwung seiner aus hyperbolen Schalen geformten Basis in die aufsteigende, sich verjüngende Spitze – dem Himmel entgegen, als wollte es dorthin der unzeitgemäßen Grandiosität seiner Form entfliehen.
Die 1967 erbaute „Flamme der Revolution“ wurde 2004 mit einem zeitgemäß pixeligen Anstrich in Orange, Gelb, und Weiß zu einer Art überdimensionierten Firmenlogo entschärft und entging so dem Schicksal vieler anderer DDR-Monumente in Halle und anderswo. Es gibt sie noch. Das ist das Erstaunliche. Das Interessantere aber ist, dass die unbehagliche und immer etwas verschämte Beziehung zwischen der Radikalität der Form, und deren Einhegung durch ihre Farbgebung die Geschichte des Monuments schon vom Zeitpunkt ihres Entstehens durchzieht.

In meiner Erinnerung an meine Kindheit in Halle in den 80er Jahren trägt die Fahne ein verblichenes Rot. Sie war maximal als halbwegs passable Rutsche interessant. Während der obligatorischen Maiaufmärschen, bei denen wir Schulkinder vor allem damit beschäftigt waren uns gegenseitig die spitzen Enden der Fähnchen (aka Winkelemente) in schmerzempfindliche Körperteile zu spieken, wurde sie zur steinernen Verlängerung der Kulisse der grauen Gesichter der über uns thronenden Funktionäre. Die zukunftsweisende Geste der Fahnenform und das darin möglicherweise angelegte Versprechen empfand man damals, wenn man es überhaupt noch sah, als blanken Hohn. Die Frage nach einer möglichen Differenz zwischen dieser Form und dem darüber getünchten Einheitsrot kann ich erst heute vorsichtig zu stellen beginnen, wenn ich – praktisch als Fremde – die Konflikte ihrer Entstehungsgeschichte recherchiere. Weitläufig werden die utopische Idee und ihre Korruption ja heute vor allem als Kontinuität gesehen, und weil ich mich dieser allzu komfortablen Reduktion widersetze, lese ich mit archäologischem Interesse über die Zeit vor meiner Zeit, als dieses Verhältnis in der DDR scheinbar noch brüchig, seine Zementierung möglicherweise noch nicht unabwendbar war.

Die Flamme der nicht gewollten Revolution, 1967

Als Siegbert Fliegel, Chefarchitekt der gerade entstehenden Planstadt Halle-Neustadt, 1967 die „Flamme der Revolution“ im Auftrag der politischen Führung des Bezirkes und der Rat der Stadt Halle zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution entwirft, schwebt ihm eine Formwerdung des sozialistischen Fortschrittsgedankens vor: Er plant die Skulptur, von Tatlins spiralförmigem Turm für die III. Internationale (1919/20) und dem Weimarer Märzgefallenendenkmal von Walter Gropius (1923) inspiriert, als eine weiße, saubere Form. Auch mittels des Namens soll sie sich einer allzu direkten Interpretation als wehende Fahne entziehen, zu der sie der Volksmund dann natürlich doch sofort degradiert.
Der Farbentwurf wird im üblichen Duktus des staatlichen Misstrauens allem gar zu Revolutionären gegenüber, postwendend als „abstrakt-konstruktivistisch“ abgelehnt. "Halle kann nicht die weiße Fahne hissen" – kommentierte zudem Horst Sindermanns, damals noch SED-Bezirksleitungschef, später Volkskammerpräsident. Auch der kubistisch inspirierte zweite Farbentwurf des Malers Gottfried Schüler wird schließlich als zu mehrdeutig empfunden und in der Nacht vor der Einweihung sicherheitshalber übermalt: Die Parteileitung hat Angst, dass die gelben Lineaturen als die Blitze der sozialdemokratischen Fahne verstanden werden könnten, oder das Rote und Gelbe auf dunklem Sockel als Schwarz-Rot-Gold. Da kommt zur Angst vor einem allzu grandiosen Entwurf der Zukunft das Unbehagen vor der eigenen Vergangenheit dazu. Wenige Jahre später wird die komplette Fahne mit dem unmissverständlichem Rot übermalt, das meine Erinnerungen an „die Fahne“ prägt.

Die Flamme der abgebrochenen Revolution,1989

Zu diesen Kindheitserinnerungen an die Fahne kommen später die von 1989 hinzu. Im Herbst und Winter fanden hier die Abschlusskundgebungen der Montagsdemos statt. Die Versprechen dieses Staates, von denen auch die Form des Monuments erzählt, waren für die frühen Demos des Herbstes 1989 und die vorangegangen und fortlaufenden Diskussionen ja wichtiger, als man leider auch 2009 nach einem Jahr öffentlichen Erinnerns oft meint. Um deren Einforderung ging es zunächst, nicht ihre Ablösung durch andere. Anders als zum Beispiel das Lied der frühen Demos, die Internationale, hat die Fahne aber nie als Sinnbild dieser Anrufung getaugt – als (Feind)bild der Erstarrung, der ideologischen Erdrückung schon. Ein Denkmalsturm blieb aber aus, stattdessen wurde die Fahne bald mit ersten Parolen und Forderungen bemalt. Sie wurde zur Anschlagwand einer sich formierenden Öffentlichkeit, die sich hier im kurzen Moment der öffentlichen Sprachergreifung ein Denkmal setzt, bevor sich dieser Raum des radikalen Miteinandersprechens nach dem Einreiten der westdeutschen Demokratie und Wiedervereinigung schon wieder schließt.

Später, in den 90ern, kamen andere Übermalungen dazu, ich glaube es waren Kunststudenten, vielleicht sogar beauftragt von irgendwem, vielleicht gab es ein Motto irgendwann – die Fahnen unten am Sockel, weiße Punkte, die EU-Fahne (warum?), und oben dann – einleuchtender – der gelbe Hase wie ein Piratentotenkopf auf schwarzem Grund. Ich kann das nicht mehr entschlüsseln, aber sicher entspricht es einer Form des Umgangs und der Aneignung, die in den 90ern im Osten sehr verbreitet war. Da weist die Fahne dann nirgendwo mehr hin, hier wird sie zum Mahnmal einer seltsam tröstlichen anarchischen Gegenwärtigkeit. Dass so was (ein Schandfleck, nichts Geringeres) über zehn Jahre an öffentlicher Stelle so stehen bleiben durfte, macht einen noch nachträglich froh.

Die Flamme des menschlichen Überlebens, 2004

Hinter den Kulissen liefen da schon die üblichen Debatten über Abriss oder Erhalt, der Anfang der 2000ern schließlich mit einem Wettbewerb zur Neugestaltung und Neudeutung beendet wird. Erstaunlich aber doch, dass man sich statt für Entfernung für Einhegung entschied und doch auch für ein Aufgreifen der Fragen über Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die neu ins Verhältnis zu setzen man dem Monument doch noch zuzutrauen schien. Ein Kriterium der Ausschreibung war, dass die Gestaltung andeuten soll, was 89/90 hier stattgefunden hat. Das hätte interessanter werden können als ein Einheits- und Freiheitsdenkmal vor einem wieder aufgebauten Schloss in Berlin.
Letztendlich entschied man sich dann aber für die Versinnbildlichung unserer Galaxie, der Milchstraße im Universum. Das Universelle, das wissenschaftlich Erwiesene ist es, das, laut der Begründung des Entwurfs, als Sinnstiftung die als temporär entlarvten gesellschaftlichen Konzeptionen ersetzt, das die Verbindung herstellt, zwischen Individuum und Rest der Welt. Die Utopie ist hier das Überleben des Menschen als Spezies.
So ruht die Fahne also humanistisch, universell, friedlich und farbenfroh neben der Sachsenbank. Wir erwarten mit Spannung ihren Anstrich nach der nächsten versuchten Revolution.

Quellen:
http://www.halle.de/index.asp?MenuID=2307&SubPage=1
und
Claudia Hofmann: DDR- Monumentalkunst - am Hansering in Halle
http://www.werkleitz.de/projekte/kunst-sachsenanhalt/ting/tp_hansa.html